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Uzak (Weit)

Tillmann Allmer, Critic (Germany), February 3, 2005

 

Der Film beginnt mit einer langen Einstellung eines Mannes, der im frühen Morgenlicht durch eine Winterlandschaft läuft. Die Kamera schwenkt langsam nach links, zeigt eine einsame Landstraße, an der derselbe Mann steht und ein Auto anhält. Schnitt zu einer unscharfen Szene einer sexuellen, aber distanzierten Begegnung eines anderen Mannes mit einer Frau in einem urbanen Appartement. In dieser Wohnung wird einige Zeit später der erste gesprochene Text des Films zu hören sein, gefiltert durch einen Anrufbeantworter. Etabliert ist eine Tristesse, die weiterhin den Film prägt, durchdacht inszeniert ist und nicht ohne pointierten, visuellen Humor die Geschichte der Begegnung zweier entfernter und entfremdeter Verwandte erzählt.


Mahmut, der schon seit vielen Jahren in Istanbul als Fotograf arbeitet, lebt alleine in einer für ihn viel zu großen Wohnung. Seitdem seine Frau sich von ihm geschieden hat, zieht er sich zurück in seinen vermeintlich intellektuellen Komforthaushalt und hat nur noch wenige soziale Kontakte. Eines Morgens klingelt sein jüngerer Cousin Yusuf an der Tür. Er ist arbeitslos und hat das gemeinsame Heimatdorf verlassen, mit der Hoffnung in Istanbul Arbeit zu finden. Mahmut willigt ein, dass sein Cousin bei ihm wohnt bis dieser eine Arbeit gefunden hat. Am liebsten möchte Yusuf auf einem Schiff anheuern. Doch das erste Schiff, das ihm in Istanbul begegnet, verheißt Aussichtslosigkeit für die Jobsuche, denn es liegt gekentert im Hafenbecken. Der Besuch des Cousins verlängert sich auf unbestimmte Zeit und stört Mahmut in seinem festgefahrenen und introspektiven Alltag.

Diese unfreiwillige Konfrontation zweier Verwandter vollzieht sich in stoischen Bildern, in langen, verweilenden Einstellungen, die viel Raum lassen für kleine Gesten und Momente. Mahmut ist es nicht gewohnt, seine Wohnung zu teilen. Der neue Mitbewohner wird alleine durch seine Anwesenheit zur Last. Zwanghafte Ordnungsrituale und ritueller Dauerfernsehkonsum zeugen davon, dass Mahmuts Ideale abhanden gekommen sind und er sich in einer existenziellen Krise befindet. Er bewahrt sich zwar einen intellektuellen Schein, hört Bach und sieht sich im Fernsehen Filme von Tarkowskij an. Aber nur solange Yusuf sich im selben Raum befindet. Sobald sich dieser schlafen legt, schaltet Mahmut ein Pornovideo ein. Selbst die Unbeholfenheit des jüngeren Verwandten vom Dorf, der in seiner Naivität glaubt, die Großstadt werde ihn retten, kann Mahmut nicht dazu bringen, seine innere Kälte abzulegen und dem glücklosen Verwandten ein wenig Mitgefühl entgegen zu bringen. Die gezwungene Zweisamkeit der beiden Protagonisten führt zu keiner wirklichen Annäherung. Zu sehr sind die beiden in sich gefangen, hängen ihren Obsessionen und Erinnerungen nach, sodass sie keine Gemeinsamkeit finden.


Uzak (Weit) ist ein ruhiger, leiser Arthouse-Film aus der Türkei, der nach diversen internationalen Festivalerfolgen nun auch in einigen wenigen Kinos in Deutschland zu sehen ist. Der Film erstaunt, weil er sich nicht anfühlt, wie ein türkischer Film. Man befindet sich eher in einem cineastischen Skandinavien, wie es z.B. in den melancholischen Filmen Kaurismäkis inszeniert wird. Ceylan zeigt uns ein verschneites Istanbuls, dessen Kälte sich auf die Seelen der Bewohner übertragen zu haben scheint. Die Begegnung zweier entfremdeter Verwandte, die gemeinsam etwas Zeit verbringen, erinnert auch an Jim Jarmuschs Stranger than Paradise (1983), jedoch ohne dessen vordergründige Ironie. Der Humor des Regisseurs Nuri Bilge Ceylan klingt ganz sanft zwischen den Zeilen an und besticht durch eine Mischung aus Selbstmitleid und gekonnt ausgekleideten, tragikomischen Momenten. Mit Uzak kann das deutsche Publikum einen türkischen Filmautor kennen lernen, der sich einreiht in die Tradition eines Autorenkinos der leisen, meisterhaften Filme von Vorbildern wie Ozu, Tarkowskij oder Angelopoulos.